Der Falter 03/2022

27 DER FALTER Mär z /22 D ie Bilder ließen mich nachdenklich werden. Bilder von Menschen, Männern, Vä- tern, die noch einmal die Mutter ihrer Kinder in den Arm nahmen, ihre Kinder herzten und dann gingen, um das zu verteidigen, was einmal ihr Leben und die Zukunft ihrer Liebsten war. Mein Herz tut mir weh, wenn ich daran denke, dass viele dieser Kinder ohne Vater aufwachsen werden. Doch diese schlichte Szene lässt mich auch aus einem anderen Grund nicht los. Da kämpft jemand für das, was er liebt. Er verteidigt etwas, was sein Leben wert ist. Kennen wir das noch? Wenn ich jetzt die Blaupausen unserer moralisch aufgeladenen Diskurse vor meinem inneren Auge vorbeiziehen lasse, dann sehe ich viele Gründe. Alles Gründe, etwas nicht zu tun. Da wird über die Penislänge des russischen Präsidenten diskutiert, der Verweis auf die toxische Männlichkeit darf natürlich nicht fehlen. Da wird die „Nato/ Amerika ist gleich böse!“-Karte gezückt. Mancher Politiker empfiehlt sogar, die Uk- rainer sollten aufgeben und den Russen machen lassen, dann ist ja Frieden. In dieser Logik sind Waffenlieferungen zwangsläufig kriegsverlängernd, die Schuld wird dabei auch noch auf die Opfer umgelegt. Auf Twitter werden manche nicht müde, sämtli- che Untaten der Ukrainer aufzuzählen. Die sind wohl selbst schuld, wenn der große Bär sie beißt. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr weiß ich, dass ich nichts weiß. Warum also verkneife ich mir nicht die persönliche Einordnung der Geschichte? Ist Krieg wirklich eine moralische Frage? Wenn es danach ginge, könnte kein einziger Mensch einen Stein werfen. Ist der Blick darauf ein völlig verkehrter? Ich sprach von den Gründen etwas nicht zu tun. Mein Sohn Raphael hat mich darauf gebracht. Er wollte wissen, was der Krieg in der Ukraine ist. Danach wollte er wissen, ob er auch in Gefahr ist. Zuletzt wollte er wissen, ob ich ihn beschütze. Mit Volkmar Röhrig, hatte ich eine lange Diskussion im Vorfeld dieses Artikels, über die humanis- tische Sichtweise dieser Krise. Ich fühlte mich von dieser Frage überfordert. Diskus- sionen über menschliche Konflikte und Abgründe haben in der Regel die Intention, eine Wahrheit zu generieren, die es mir ermöglicht, mit sauberer Weste das Dilemma aufzulösen. Ein Dilemma hat aber die Unauflösbarkeit als Kern in sich. Die Fragen meines Sohnes und die ukrainischen Väter haben mich an meine Kriegsdienstverwei- gerung in den 90er Jahren erinnert. Eine Frage der Kommission war: „Was würden Sie tun, wenn jemand ihre Familie töten wollte und die einzige Möglichkeit, diese zu retten, wäre es den Täter zu erschießen?“ Ich habe den Angreifer erschossen. Diese Antwort war richtig. Denn alles andere wäre unrealistisch und unmenschlich gewe- sen. Eine Gewissensentscheidung, die zwar Leben rettet, aber es mir nicht erspart, mir die Hände schmutzig zu machen. Hier ist mir bewusst geworden, wie unser In- tellektualisieren und Moralisieren das menschliche Leben konterkarikiert. Wir wollen gerne allgemeingültige Antworten auf die bunte Vielfalt des Lebens. Die gäbe es nur, wenn unser Leben schwarz und weiß wäre. Jesu Ablehnung moralisierender Besserwisser hat mich veranlasst, sein Handeln ein- mal genauer anzusehen. Jesus hat den Hilfesuchenden keine Moral geboten. Er war stets auf der Handlungsebene. Für ihn war relevant, was der Einzelne tatsächlich leisten konnte. Diese Leistung war niemals ein Standardwert, der für den Krüppel, die arme Witwe oder den Gutsbesitzer gleichermaßen galt. Jeder von ihnen kann etwas verändern, sobald er mit dem Herzen dabei ist. Jedes Tun fußt auf unterschiedlichen Möglichkeiten, die sehr individuell sind. Dieses Herz, heute würden wir Gewissen sagen, ist das eigentlich wichtige, um Not wahrzunehmen und dann entsprechend zu handeln. Denn ist unser Handeln nur dazu da, uns ein reines Gewissen und Aner- kennung zu verschaffen oder dient es einer tatsächlichen Veränderung der Situation meines Gegenübers? Seine Empfehlung war der Blick auf den Nächsten. Der Nächste das ist nicht XY im fernen Afrika. Das ist der, welcher mir tatsächlich nahe ist, räum- lich und emotional. Wir demonstrieren gerne für Gott und die Welt, dabei haben wir leider zu oft bewiesen, dass wir die eigentlichen Opfer aus dem Blick verlieren. Schlaf Kindlein schlaf, der Vater ist im Krieg Von unserer Begrenztheit der emotionalen Anteilnahme ohne persönlichen Kontext einmal abgesehen. Mancher, der ständig auf das Leid in der Ferne zeigt, übersieht oftmals das Leid zu seinen Füssen, die Nächsten also. Diese sind mir mein Sohn Raphael und meine Tochter Judith. Was kann ich für sie hier und jetzt tun? Was können sie für die Ihren tun? Ich habe versucht, mit meinem Sohn ins Gespräch zu kommen. Die Ereignisse so zu erklären, wie sie sind. Die Bibel kennt diese Welt als gefallene Schöpfung. Das möchte ich auch ihm vermitteln. Die Welt ist ein Ort, an dem es viel Ungerechtigkeit gibt. Sie wird niemals perfekt sein, keine schöne neue Welt. Weil diese Welt so zerbrechlich ist, lohnt es sich jeden Tag neu, sie besser zu machen. All unser Verurteilen, jede Viktimisierung von vermeintli- chen Minderheiten, läuft dem zuwider. Gerade jetzt ist es wichtig, meinem Sohn zu sagen, dass es auf ihn ankommt. Jede Veränderung beginnt in seinem Herzen. Da wo er mitfühlt, sich interessiert, nachfragt, hinterfragt, da beginnt etwas Neues. Jesus würde sagen, da beginnt das Reich Gottes inwendig in uns. Inwendig, ich mag dieses Wort. Wir können so viel Hass vermeiden, soviel Angst und Verurteilung, wenn wir unser Handeln als inwendig begreifen. Ich benötigte für mich Zeit inwendig klar zu werden, um vieles neu zu sehen. Ich bin verantwortlich für alles, was in meiner Macht steht. Aber auch nur das. Wenn heute Ukrainer vor unserer Tür stehen, was tue ich dann? Wenn Leute bei uns ausgegrenzt werden, weil sie Russen sind, was werden ich dann sagen? Wenn unsere Kinder Angst haben, werden ich dann sagen, dass sie keine Angst zu haben brauchen? Oder werden ich sagen: „Du darfst Angst haben, ich habe auch Angst. Hilfst Du mir das Beste daraus zu machen?“. So möchte ich meine Kinder verteidigen, um Sie auf eine schreckliche und zugleich wundervolle Welt vorzuberei- ten. Wenn es bedeuten sollte, Sie mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, dann auch das. Ich wünsche uns allen, dass wir Frieden in unserem Herzen ma- chen und diesen in diese Welt tragen. Holger Dubowy, Diakon der evangelischen Stadtkirche Kitzingen Zeichnungen (2) Holger Dubowy. * Gültig vom 01.02.2022 bis 31.03.2022 in Bayern. Der Preisvorteil ergibt sich aus entfallender Anschlussgebühr und kostenlosem Probemonat. Gilt für alle Kunden, deren Pflegekasse die Basisleistun - gen des Hausnotrufsystems nicht übernimmt. Diese Kosten werden im 1. Monat der Versorgung durch die Johanniter getragen. Zusatzleistungen im Komfort / Premium sind im 1. Monat der Versorgung für alle Kunden gratis. Jetzt 4 Wochen gratis testen und Preisvorteil sichern!* Jetzt bestellen johanniter.de/hausnotruf-testen 0800 32 33 800 (gebührenfrei) Sicherheit auf Knopfdruck. Der Johanniter-Hausnotruf. Verlängerung bis 31.03.2022

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