Der Falter 03/2022

25 DER FALTER Mär z /22 Karl Heinz Lindörfer, 2022. Standfoto aus dem Video (siehe vorheriger Beitrag). Foto atelier zudem. Ihr Ansprechpartner: Armin Seifert Tel.: 09321/6116 auto-service-seifert@ t-online.de und Larven auf den Äckern abzuklauben oder verschiedene Kräuter zu sammeln, die den Soldaten als Heilkräuter in den Lazaretts zu Gute kommen sollten. Lange nach dem Krieg habe ich dann selbst festgestellt, dass zentnerweise die getrockneten Heil- kräuter noch auf den Dachböden der Schulen lagerten. Zu unserem Leben als Kinder zu Hause kann ich mich nur erinnern, dass wir alle ver- hältnismäßig streng erzogen wurden, aber unsere Freiräume durch die viele Zeit, die wir auf den Feldern zubrachten, zu nutzen wussten. Wir waren auch ohne moderne Technik sehr kreativ. Der Krieg hat uns Kinder in meinem Alter eigentlich nur insoweit berührt, dass die Väter alle bei der Wehrmacht waren und wir nur von unseren Müttern erzogen wur- den. Die Partei hat den Alltag bestimmt. Wir mussten überall die bekannten Lieder singen, und an Aufmärschen teilnehmen. Ich war auch schon bei der Hitlerjugend an- gemeldet, ältere Jungs wurden schon als Luftschutzwarte oder Melder verpflichtet. Unser Notgepäck stand immer im Hausflur bereit und bei jedem Alarm packten wir unsere selbstgenähten Rucksäcke und liefen zum 150 Meter entfernten Luftschutz- keller in die Gaßner-Brauerei. Hier passierte Gott sei Dank nie etwas. Bis dann der tatsächliche Angriff auf unsere Stadt kam, wir es nicht mehr in den zugewiesenen Schutzraum schafften und im Keller unseres Nachbarn den Bombenhagel erlebten. Nachdem wir wie durch ein Wunder dieses Inferno lebend überstanden hatten stan- den wir alle zunächst vor dem Nichts. Wo sollten wir unterkommen, wo sollten wir schlafen. Einzige Lösung für unsere Familie war der Garten in der Pflaumengasse, den wir von der Urgroßmutter geerbt haben. Ob wohl da noch was ganz geblieben war? Wir machten uns also auf, stiegen über tausend Trümmer, durch Löcher und Bom- bentrichter Richtung Würzburger Tor. Die Schützenstraße am Bahndamm entlang, die dortigen Gärten, die Gaststätte Wilhelmshöhe – alles war kaputt. Die Hütte aber in unserem Garten war zwar beschädigt, aber stand noch. Darin hatten wir u.a. auch Heu und Stroh gelagert, das wir brauchten für unsere Stallhasen in der Stadt. Teilwei- se hielten wir bis zu 20 Hasen, da die Fleischmarken für die Versorgung sehr wenig waren. In der Gartenhütte haben wir uns dann einige Nächte aufgehalten, bis eine entfernte Tante aus Repperndorf uns einlud, bei ihr vorübergehend unter zu kommen. Tagsüber liefen meine Mutter und ich immer nach Kitzingen, um in den Trümmern unserer Ruine nach noch Brauchbarem zu suchen, das wir dann mit dem Handwagen mit nach Repperndorf fuhren. Die bereits betagte Oma, die Tante und meine kleine Schwester blieben tagsüber in Repperndorf. Mit der Zeit bekamen wir noch 2 Zimmer in der Nachbarschaft, sodass wir in 3 Häusern kampierten. Ich erinnere mich, dass wir den Luftangriff auf Würzburg am 16. März 1945 in der Nacht miterlebt haben. Wir standen alle auf der Straße, es war taghell und ange- brannte Papierbündel, meist Behördenakten, fielen vom Himmel. Die wurden am nächsten Tag eingesammelt und zum Bürgermeister gebracht. Ich ging auch fast ein Jahr in Repperndorf zur Schule, zusammen waren wir 8 Klassen in einem Raum. Zweimal waren wir mit der Mutter auf den Feldern, um Feldsalat zu stechen, als wir von amerikanischen Flugzeugen mit Bordwaffen angegriffen wurden. Wir schafften es jeweils in den Hohlgraben und versteckten uns. Kurz darauf sind dann die Amis über die Höhen von Kaltensondheim her einmarschiert. Ein paar Tage später ist lei- der meine kleinere Schwester an Diphterie verstorben, weil wir sie nicht rechtzeitig wegen der Ausganssperre und den Panzersperren ins Krankenhaus bringen konnten. Die Amis zogen in die Flakkaserne ein, heute Innopark mit Goldfplatz und Klingen- wald bis Kaltensondheim. Als erstes räumten sie sämtliches Inventar aus der Kaserne und fuhren es in den Schießplatz in der Klinge, übergossen es mit Benzin und zün- deten es an. Wahrscheinlich wurde das arme Inventar damit entnazifiziert. Tagelang stand eine große Rauchsäule über dem Wald. Die umliegenden Bauern kamen mit ihren Fuhrwerken dorthin, zogen alles noch Brauchbare aus den Flammen und fuhren es heim. Selbstverständlich waren wir auch dabei. Einige Bauern waren so nett auch etwas für uns“ evakuierte Kitzinger“ mit zu nehmen. Wir wurden immer „Evakuier- te“ genannt, ähnlich wie später die „Flüchtlinge“ aus dem Osten. Mitte 1946 zogen wir dann wieder nach Kitzingen und haben einige Wochen in der not- dürftig hergerichteten Bäckerei Sengfelder in der Würzburger Straße gewohnt. Der Laden war für uns Küche und Wohnzimmer, ich habe mit Oma in der Backstube geschlafen. Anschließend sind wir in die Schützenstraße in ein Dachgeschoß gezogen. Zuvor mussten wir erst das Dach wieder dicht machen und einen Zugang an den Bomben- trichtern vorbei zur Haustüre schaffen. Mein Zimmer war eine kleine Dachkammer mit 6 qm und Zugang durch das Elternschlafzimmer. Genau gegenüber dem Haus stand ständig auf einem Abstellgleis eine Lokomotive (Schublok), die Güterzüge bis Dettelbach oder Markt Einersheim schob. Mit den Ei- senbahnern haben wir uns angefreundet. Dabei sprangen für uns gelegentlich Kohle und Koks heraus, im Austausch für Obst und Gemüse aus unserem Garten. Wieder- holt durfte ich auch nachts auf der Lok mitfahren. Das schöne Steinhaus ist leider inzwischen abgebrochen worden, um Platz für Wohnhäuser zu schaffen. Schade, es hatte noch bis ins Dachgeschoß ein schönes Plumpsklo. Es waren sehr turbulente Zeiten. Das Leben mit der Besatzungsmacht, das Warten auf die Heimkehr der Männer und Väter aus den Gefangenenlagern, die Entnazifi- zierung, die Beschaffung von Essbarem und allen anderen Materialien, die verloren gegangen waren. Der Schwarzhandel, ohne dem nichts mehr ging, und die vielen anderen Dinge, über die man Bücher schreiben könnte. Erst viele Jahre später, nachdem ich eine lange Laufbahn in meinem Beruf hinter mir hatte, und gelegentlich Zeit zum Nachdenken war, sind mir viele Dinge aus den frü- heren Jahren wieder eingefallen. Sie haben mir deutlich gemacht, dass sich scheinbar alles wiederholt im Leben. Was ängstigte uns die “Zeit des kalten Krieges“, gibt es einen Atomkrieg oder nicht? Und dann wieder die Zeit der Entspannung, als jeder glaubte „der Friede sei ausgebrochen“. Bis heute, bis zur Erkenntnis, dass der Beste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Heute sehen wir in den Medien wieder die Bilder des Krieges und der Zerstörung, des widersinnigen Massenmordes von unschuldigen Menschen, wieder werden Städte bombardiert. Das selbst erlebte Bild nach dem Angriff auf unsere Heimatstadt drängt sich unwillkürlich auf. Es ist das Gleiche wie heute. Neben dem Krieg, der zurzeit in der Ukraine tobt, gibt es noch weitere, zahllose Kriege rund um unseren Erdball. Sie werden geführt aus Herrschsucht, Egoismus und um sich die Taschen mit dem schnö- den Mammon voll zu stopfen. Die Geschichte zeigt uns, seit es Menschen auf der Welt gibt, war Hader und Streit unser ständiger Begleiter und wird es auch bleiben. Kitzingen, 03. März 2022, Karl Heinz Lindörfer

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