DER FALTER 06 / 13
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Kleine Kitzinger Baustilkunde
Barock 1675–1770
von Dieter Bilz
900–1250
1250–1525
1525–1675
1675–1770
1735–1770
1770–1830
1820–1840
1830–1900
1900–1920
ca
.
Romanik
Gotik Renaissance
Barock
Rokoko Klassizismus Biedermeier Historismus Jugendstil
Eigentlich würde schon die mächtige
Fassade der evangelischen Stadtkirche
(Foto oben) genügen, um die Baustilepo-
che des Barock zu erklären. Doch gibt es
in Kitzingen nicht nur kirchliche Bauten,
sondern auch noch viele profane Bürger-
häuser, die uns viel von der damaligen
Baukultur erzählen können.
Es war eine baufreundliche Zeit vor gut
300 Jahren. Wohlstand und handwerkli-
ches Können, die Freude am Schmücken,
Verzieren und an Farben lösten das Zeit-
alter der strengen Renaissance ab.
Was vom vorhergehenden Baustil jedoch
blieb, ist zu allererst die Symmetrie, die
Ordnung des Grundrisses und der Fas-
saden der Gebäude. Genau nach Achsen
plante und baute man sowohl in der
Horizontalen (Grundriss/Tragwände) als
auch in der Vertikalen (Fassaden) das
Bauwerk.
Doch bleiben wir beim barocken Kirchen-
bau des in Würzburg arbeitenden ita-
lienischen Baumeisters Antonius Petrini
und seinem letzten nachweisbaren Kir-
chenbau: Grundsteinlegung 1685,Weihe
1699. Auf einem hohen Muschelkalkso-
ckel, der das abfallende Gelände ein-
ebnet, steht ein stattlicher Putzbau, reich
gegliedert durch sandsteinerne Archi-
tekturelemente, die ockergelb zur weiß-
gestrichenen Fassade abgesetzt sind.
Das Hauptgeschoss wird von vier Pi-
lastern mit schweren Kapitellen in drei
Felder geteilt. In der Mitte das Portal,
darüber ein mit Akanthusblatt umrahm-
tes leeres Kartuschenfeld (das ehemalige
fürstbischöfliche Wappen wurde bei der
Übernahme der Kirche in evangelischen
Besitz ausgemeißelt), darüber die Ni-
sche mit Johannes dem Täufer. Ein weit
auskragendes Sims mit antikisierendem
Giebel schließt das Hauptgeschoss ab.
Darüber stehen erneut zwei hohe Pilas-
ter mit dazwischenliegender portikusar-
tiger Einrahmung des Fensters mit der
Kirchenuhr. Ein schwerer trapezförmiger
Giebel schließt die Fassade nach oben
ab. Begleitet wird der Aufbau von Volu-
ten, vierseitigen Pyramiden und Vasen.
Die Westseite der Kirche beherrscht die
ganze Kaiserstraße. Seitlich überragt der
quadratische Turm die Hauptfassade mit
der Balustrade, dem eingezogenen Uh-
rengeschoss und der typischen Petrini-
Turmkuppel mit Laterne und kleiner
Haube.
Nicht weit davon entfernt steht ein trauf-
ständiges dreigeschossiges Bürgerhaus
(Kaiserstraße 19, Foto rechts), das viel-
leicht vomWürzburger Baumeister Greis-
sing – dem ersten Schlüsselfertigbauer
– errichtet wurde. Eckpilaster mit Engels-
köpfen, profilierte Fenstergewände mit
floralen Schmuckelementen zieren die
Fassade. Die Erdgeschossfenster zieren
und sichern schmiedeeiserne Gitter.
Den Baustil des Barock findet
man noch häufig in Kitzingen.
Entdecken Sie weitere Gebäude in der
Luitpoldstraße: das ehemalige Dekanat
(Hausnummer 11) und gegenüber das
Deuster-Haus (Hausnummer 12) oder die
Kreuzkapelle in Etwashausen (von Balta-
sar Neumann, Weihe 1745) Das ehema-
lige Haus des Porzellanladens Werner in
der Schweizergasse, jetzt zur Sparkasse
gehörend und gegenüber ein barocker
Steinbogen mit Wappenstein, jetzt Ge-
schäftsstelle der Main-Post (Luitpoldstr.
1), sind Zeugen einer typisch fränkischen
Stilepoche.
Text: Dieter Bilz, Stadtheimatpfleger
Fotos: Michael Herbert
Architektonische Begriffe
Pilaster
= vorspringender Wand-
pfeiler mit Kapitel und Basis
Kapitel
= Säulenkopf
Arkanthusblatt
= Pflanzenor-
nament aus den Blättern des Bären-
klaus; ursprünglich altgriechisch
Kartuschenfeld
= Umrahmung
eines Wappens/Schriftfelds mit
Ranken oder Blättern
Portikus
= Tor- oder Türumrahmung,
vorstehend; ursprünglich Säulenhalle
vor geschlossener Rückwand
Volute
= schneckenförmiger Zierrat
Balustrade
= Geländer aus Stein,
mit einzelnen runden oder eckigen
Säulen
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