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DER FALTER 03 / 13
Von Südwesten streift bereits das tief
stehende Licht eines frühen Abends das
idyllische Leben am Fluss. Golden leuch-
ten noch einmal zwei Kirchen auf dem
Etwashäuser Mainufer im untergehen-
den Sonnenlicht, während die Altstadt
in einen kühlen Abendschatten sinkt und
sich mit seinen vielen charakteristischen
Türmen als Schattenriss vor dem noch im
Licht gleißenden Band des Maines sanft
abhebt. Die Menschen sind dabei, ihr
Tagwerk zu vollenden.
Ein Fuhrwerk macht sich auf der alten
Ansbacher Straße auf den Weg nach
Mainbernheim, während ein Häckerpaar
im Weinberg sich nach getaner Arbeit
noch bei einem Gespräch ausruht, ein Fi-
scher holt seine Netze ein, ein paar Käh-
ne bringen reiche Ladung an die Lände.
Die Idylle der Stadt am Fluß erscheint
perfekt, doch das Bild markiert eine
Schwelle – die Schwelle in die neue Zeit.
Die beiden scheinbar friedlichen Kirch-
türme am Etwashäuser Flussufer erin-
nern an einen beispiellosen Wettstreit
im Ringen um die überlegene Konfessi-
on, welches mit den Beschwerden der
Kitzinger protestantischen Bürgerschaft
weit über die Grenzen Frankens hinaus
bekannt wurde. Das fortwährende, un-
ablässige und zähe Ringen der beiden
Lager um wirtschaftliche, gesellschaftli-
che und politische Überlegenheit führte
zum Bau der Kreuzkapelle, einem Proto-
typ im architektonischen Werk Balthasar
Neumanns, und im Gegenzug zu einer
Sanierung und Vergrößerung der evan-
gelischen Michaeliskirche, ebenfalls nach
Plänen Balthasar Neumanns. Die Frage,
wer den höchsten Kirchturm mit den
lautesten Glocken habe, wird mit diesem
Gemälde ein letztes Mal beschworen.
Das Gemälde ist weder signiert noch da-
tiert, aber es ist eine der wenigen erhal-
tenen zeitgenössischen Darstellungen,
die den Kirchturm der Michaeliskirche
abbildet, der 1754 errichtet und 1817
wieder eingelegt wurde.
Doch wo steht Kitzingen zur Zeit
der Entstehung dieses Gemäldes?
Die Stadt begann in der Mitte des 18.
Jahrhunderts sowohl von den Reformen
des Würzburger Fürstbischofs Friedrich
Carl von Schönborn, aber auch von den
Fördergeldern des Würzburger Hochstifts
zu profitieren. Es war das Bestreben des
Bistums, Kitzingen zu einer führenden
Hafenstadt in Konkurrenz zu den protes-
tantischen Hafenstädten der Ansbacher
Markgrafen, Marksteft und Marktbreit,
auszubauen und damit den Mainhan-
del zu kontrollieren. Kitzingen floriert.
Exotische Waren, wie Kaffee, Indigo und
Cochenille, aber auch Tee und Tabak wer-
den aus Übersee importiert. Die Händler
werden reich.
Das ändert sich nachhaltig mit der durch
die Säkularisation 1803 hervorgerufe-
nen, wirtschaftlichen Krise.
Hier wäredas Bild zeitlich einzuordnen –
am Ende des Streits um die beiden christ-
lichen Konfessionen und am Beginn neu-
er wirtschaftlicher Herausforderungen.
Dieses Ölgemälde war seit 1998 im pri-
vaten Kunstmarkt verschwunden. Erst im
Ein letzter Blick auf das Kitzingen des 18. Jahrhunderts
Ein Gemälde von Johann Leonhardt Städtler (1758–1827)
von Stephanie Nomayo
März 2011 tauchte das Bild erneut auf.
Den Hinweis auf die entsprechende Auk-
tion des Frankfurter Kunsthauses Döbritz
erhielt die Autorin von einem aufmerk-
samen Kollegen, dem ehemaligen Leiter
des Stadtmuseums von Neustadt-Aisch,
Heinz Kühlwein.
Die Künstlerzuweisung des unsignierten
Gemäldes an Johann Leonhardt Städtler,
einem aus Neustadt/Aisch stammenden
Maler des späten 18. und frühen 19.
Jahrhunderts erfolgte durch Dr. Erich
Schneider, der eine erste Beschreibung
dieser Vedute in jenem, in der Schriften-
reihe des Städtischen Museums Kitzin-
gen, Band 2, erschienenen Band "Kitzing
am Main darüber da eine starcke steiner-
ne Bruck gehet", veröffentlichte.
Das Gemälde wurde im März 2011 mit
Unterstützung durch den Verein der
Freunde und Förderer des Städtischen
Museums Kitzingen für das Stadtmuse-
um Kitzingen erworben.
Stephanie Nomayo ist Leiterin des Städtischen
Museums Kitzingen. Foto: Archiv Museum
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