„Was ist eigentlich ein Frack?“ –
„Na, ein kaputtes Schiff“
Aus dem Alltag einer Lesepatin
DER FALTER 03 / 13
04
Koordinierungszentrum WirKT
WirKT – Koordinierungszentrum
Bürgerschaftliches Engagement
Sandra Thren
Würzburger Straße 5
97318 Kitzingen
Tel: 0 93 21 – 92 54 284
E-Mail:
:: Frau Bergauer, was ist eigentlich
ein Lesepate?
Ein Lesepate bekommt Kinder zugeteilt,
die sich beim Lesen schwerer tun als an-
dere. Das kann aus Migrationsgründen
sein, oder eben einfach eine merkbare
Leseschwäche. Lesepaten sind eine Art
Nachhilfe. Es wäre aber ungeschickt,
wenn ein hilfebedürftige Kind – auch
vor anderen Kindern – den Eindruck hat,
dass es mit mir lesen muss. Also wurde
ich anfangs von der Lehrerin als „Lese-
patin“ vorgestellt, mir der man zusam-
mensitzen und zeigen „darf“, wie man
liest und was man schon kann. Daraufhin
wollte fast die halbe Klasse zu mir. Das
zu fördernde Kind blieb dann einfach
länger bei mir als die anderen. Das fiel
kaum auf und alle waren zufrieden.
:: Warum sind Sie Lesepatin gewor-
den?
Ich habe eine erwachsene Tochter. Für
die hatte ich in ihrer Kindheit kaum Zeit,
weil ich berufstätig war. Ich fühlte mich
dauernd unter Stress und die Hausauf-
gabenbetreuung war mir ein Gräuel. Ich
hatte da im Nachhinein echt ein schlech-
tes Gewissen, wie ungeduldig ich mit
dem eigenen Kind war. Dies ist vielleicht
auch der Grund, warum ich Lesepatin
wurde und jetzt extrem geduldig und
einfühlsam bin.
:: Was soll mit einer Lesepaten-
schaft erreicht werden?
Möglichst den Anschluss innerhalb der
Klasse nicht zu verpassen bzw., dass die
Leistungs-Kluft nicht noch größer wird.
:: Wie wird man Lesepate?
Ich habe mich an die Schule gewandt,
wo man war sehr interessiert war. Nach
Vorlage eines polizeilichen Führungs-
zeugnisses konnte ich beginnen.
:: Wie sieht Ihre Tätigkeit aus, wie
viel Zeit beansprucht sie?
In der ersten Klasse wurden die Lern-
wörter geübt, d. h. gelesen und auch
geschrieben. Jetzt, in der zweiten, wer-
den schon Gedichte und Geschichten
gelesen. Mir ist wichtig, die Geschichte
nachzuarbeiten, also das Lustige oder
das Spannende herauszustellen und den
Kindern zu erklären, dass hinter dem Le-
sen auch ein Sinn steckt.
Bei einem Jungen in der dritten Klasse ist
es beispielsweise wichtig, Textaufgaben
vorzulesen, weil er sie zwar rechentech-
nisch lösen könnte, aber den Text und die
Fragestellung nicht erfassen kann.
Pro Woche bin ich drei Schulstunden
tätig. Das kann aber jeder machen, wie
er will, auch in jeder Jahrgangsstufe. Ich
hatte schon Schüler der 6. Klasse. Aber
da hab ich gemerkt, dass ich Bruchrech-
nen zwar kann, aber das vielleicht nicht
richtig vermittle.
:: Welche Unterstützung erhalten
Sie durch die Schule?
Man bekommt natürlich Lehrmaterial
und erhält Instruktionen, was am kon-
kreten Tag wichtig ist oder was man be-
sonders bedenken soll.
:: Ist es schwierig für Kinder, sich
ihre Schwächen einzugestehen,
sich auf Sie einzulassen?
Überhaupt nicht. Natürlich sind sie an-
fangs etwas schüchtern, das ist ja klar.
Da kommt eine fremde Frau und der soll
ich jetzt vorlesen? Die Kinder merken
aber schnell, dass ich ihnen helfen will.
::Was war ihr schönstes Erlebnis als
Lesepatin?
Die habe ich eigentlich laufend. Kürzlich,
in einem Buchladen, war zufällig auch
eine Schülerin, die mir zuweilen vorliest.
Sie hat mir ihre kleine Schwester und ihre
Mama vorgestellt, wir haben zusammen
erzählt und viel gelacht.
Einen Schüler traf ich beim Einkaufen mit
seiner Mutter. Sie erzählte, dass er ganz
enttäuscht sei, weil er nicht mehr zu mir
dürfte, da er mittlerweile gut lesen kön-
ne. Er sagte: „Das ist aber blöd. Ich mag
die doch so!“ Ich habe darüber mit der
Lehrerin gesprochen. Nun darf er wieder
zu mir kommen, wenn auch nur kurz. Je-
des Mal freut er sich.
Auch hatte ich einen Schüler, der in der
ersten Klasse sehr schwierig und von
seinem Nichtkönnen schnell demotiviert
war. Er blockte dann ab und wollte nicht
mehr. Ich hab aber nicht lockergelassen.
Am Ende des Schuljahres sagte ich, dass
er nun vorerst seine Ruhe vor mir hätte.
Da meinte er ernst: „Ich werde dich aber
vermissen“. Ich hätte heulen können ....
:: Erleben Sie auch Kurioses?
In der zweiten Klasse lernten die Kinder
ein Gedicht, ein Vers lautete „Dem Yak,
dem Yak, steht weder Hut noch Frack“.
Ich erklärte, dass ein Yak ein zotteliges
Tier sei und fragte nebenbei „Wisst ihr,
was ein Frack ist?“ Ein Kind nickte freu-
dig: „Ja, ein kaputtes Schiff!“.
:: Wie wird Ihre Arbeit gewürdigt?
Der Direktor und die Lehrer sind dankbar
und supernett, die Eltern ebenso. Und die
Kinder sind einfach einmalig.
::Warum engagieren Sie sich ehren-
amtlich?
Weil es mir besonders gut tut und natür-
lich den Bedürftigen. Man spürt auch in
dieser Zeit nicht den Leistungsdruck des
Alltags.
:: Können Sie auch etwas von den
Kindern lernen?
Lernen im eigentlichen Sinn nicht. Aber
die Kinder ermöglichen mir, wieder das
Kind in mir zu entdecken oder die Welt
durch Kinderaugen zu sehen, völlig un-
kompliziert und arglos. Da ist ein Frack
ganz selbstverständlich ein kaputtes
Schiff und kein Bekleidungsstück, und
deswegen geht die Welt nicht unter.
Es ist ein unschätzbarer Gewinn, eine
wunderbare win-win-Situation. Des-
halb appelliere ich an alle: Helfen auch
Sie mit! Für die Grundschule, z. B. in
der Kitzinger Siedlung, werden Lesepa-
ten gesucht. Schenken Sie Kindern Ihre
Zeit, unterstützen Sie diese und erfahren
Sie dabei, wie wertvoll das auch für Sie
selbst sein kann! Vielleicht kennen man-
che auch eine Schule, in der Lesepaten
fehlen?
Foto: zudem.de
Haben Sie sich schon einmal mit Eh-
renamtlichen unterhalten, deren Erfül-
lung, ja fast schon Lebensaufgabe es
ist, sich für andere einzusetzen? Ha-
ben Sie schon einmal mit Freiwilligen
gesprochen, die bei jeder Erzählung
über ihre Aufgabe über das ganze Ge-
sicht strahlen, die mit voller Überzeu-
gung, Willenskraft und Liebe zu den
Menschen sich selbst voll und ganz
entfalten?
Gabi Bergauer ist ein solcher Mensch!
Als Lesepatin begleitet sie bereits seit
einigen Jahren leseschwache Kinder
im Alter von sieben bis neun Jahren;
aktuell sind fünf Kinder in ihrer Obhut
Lesepatin zu sein, ist für Gabi Bergau-
er nur eine logische Ergänzung bzw.
Fortsetzung Ihres sonstigen Tuns. 2008
hat sie unter dem Titel "Die Volkacher
Mainschleife und ihr reizvolles Um-
land" einen unkomplizierten und hu-
morvollen Reiseführer geschrieben.
"Man kann Neugier und Spaß aufs
Lesen regelrecht erzeugen, egal ob der
Leser nun 70, oder 30 oder 7 Jahre alt
ist". Als Reiseführer-Autorin animiert
sie die Gäste, als Lesepatin die Schüler.
Sandra Thren vom Koordinierungszen-
trum Bürgerschaftliches Engagement
sprach mit ihr.
1,2,3,4,5 7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,...28