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DER FALTER 09/13
war der Neandertaler aus den Froststep-
pen Europas für immer verschwunden.
Die Eiszeit überlebte nur der moderne
Mensch, der homo sapiens sapiens.
Die Frage warum der Neandertaler aus-
starb und der Cro-Magnon-Mensch an
seine Stelle trat, zählt noch immer zu
den ungelösten Rätseln der Menschheits-
geschichte. In das Reich der Märchen
gehört die Vorstellung, der moderne
Mensch habe den tumben Neandertaler
ausgerottet. Denn in den menschenlee-
ren Weiten der eiszeitlichen Kaltsteppe
dürften sich Neandertaler und Cro-Mag-
non-Mensch nur selten begegnet sein. Im
Gegenteil, neueste genetische Analysen
an dem aus Neandertalerknochen iso-
liertem Erbgut sprechen dafür, dass Men-
schen vom Cro-Magnon-Typ sich gele-
gentlich mit Neandertalern vermischten.
Als Nachkommen des Cro-Magnon-Men-
schen tragen auch wir einen kleinen An-
teil von Neandertaler-DNA in uns.
Großartig und vielbewundert ist das
Kunstschaffen des frühen modernen
Menschen. Denn seit dem Beginn der
jüngeren Altsteinzeit (ca. 30.000 Jah-
re vor heute) hat er sich in Frankreich
und Spanien an den Wänden dutzender
Höhlen mit Tausenden naturalistisch an-
mutender Tierdarstellungen verewigt. In
den Höhlen des süddeutschen Jura hin-
terließen die Menschen aus der Epoche
des Aurignacien (ca. 30.000-25000 v.
heute) aus Elfenbein geschnitzte voll-
plastische Tierfigürchen. In der nächst
jüngeren Epoche des Gravettien (ca.
25.000-20.000 v. heute) wurden indes-
sen Darstellungen von Frauen - soge-
nannte Venus-Statuetten - zum beliebten
Kunst- und Ritualgegenstand. Danach
dauerte es noch ca. 10.000 Jahre, bis die
Eiszeit zu Ende ging. Aus der späten alt-
steinzeitlichen Epoche des Magdalenien
(ca. 22.000-10.000 v.Chr.) sind im Kit-
zinger Land lediglich einige Feuerstein-
spitzen bekannt, die von umherstreifen-
den Rentierjägern verloren wurden.
Um 9.500 v.Chr. endete die Eiszeit. Mit
dem rasanten Temperaturanstieg zogen
sich die Gletscher zurück und im Gebiet
der ursprünglichen Kaltsteppe breiteten
sich dichte Wälder aus. Die eiszeitli-
chen Tiere starben aus oder folgten den
schmelzenden Gletschern nach Norden.
Dafür wanderten neue Tierarten aus dem
Süden ein, die bis in historische Zeit und
teils noch heute unsere Wälder bewoh-
nen, Wildrind, Hirsch, Wildschwein, Wolf,
Die Steinzeitjäger
vom Hermannsee
Julia Daub
Im Februar 2013 wurden dem Städti-
schen Museum Kitzingen von Werner
Kahnt aus Schweinfurt für die vorge-
schichtliche Abteilung 80 mesolithische
Mikrolithen, das sind Kleinsteinwerkzeu-
ge der Mittelsteinzeit, gestiftet.
Die Objekte stammen vom Hermannsee,
einer bekannten mittelsteinzeitlichen
Fundstelle im Landkreis Kitzingen. Her-
gestellt wurden sie aus größeren Feu-
ersteinklingen, die in kleinere Formen
zerlegt wurden. Sie sind häufig kaum
größer als ein Daumennagel, viele sind
dreieckig, andere länglich. Bei einigen
Steinchen sind die Kanten retuschiert,
d.h. man hat winzige Stückchen nachbe-
arbeitet, um das Gerät zu schärfen oder
es in Form zu bringen.
In unserem Neuzugang sind am größten
und auffälligsten die Kerne, sog. Nuclei.
Das sind jene Stücke, von denen man die
anderen Klingen abschlug, um Kleinge-
räte herzustellen. Eine weitere Gruppe
bilden die Kratzer. Sie sind rundlich und
meist an einer Seite sehr steil retuschiert.
Verwendet wurden sie zum Schaben und
Kratzen von Häuten, oder auch von Ge-
weih und Holz. Hierbei dürften die soge-
nannten Mikrokratzer, sie sind deutlich
unter 2 cm groß, einen Griff aus orga-
nischem Material besessen haben. Eine
weitere Gruppe wird als Klingen und
Messer bezeichnet, wobei die Klingen
im Gegensatz zu Messern zwei scharfe
Kanten besitzen, während Messer eine
scharfe und eine stumpfe Kante aufwei-
sen. Am häufigsten vertreten sind jedoch
kleine Dreiecke und Segmente, die als
Pfeilspitzen gedient haben dürften.
Auch farblich sind die Steingeräte vom
Hermannsee vielgestaltig: die Palette
reicht von rötlich-grau oder blaugrau,
bis hellrosa oder violett, manche sind
tiefschwarz. Einige der Färbungen, ins-
besondere die rötliche, könnten darauf
zurückzuführen sein, dass die Steine er-
hitzt wurden, um sie besser bearbeiten
zu können.
Aus der Jungsteinzeit, als die Menschen
schon sesshaft waren, stammt ein wei-
teres Feuersteinwerkzeug. Es handelt
sich ebenfalls um eine Pfeilspitze aus
Feuerstein, sieht aber anders aus als
die Stücke aus der Mittleren Steinzeit
(unteres Foto). Sie ist gleichschenklig
dreieckig mit einziehender Basis und mit
nicht ganz zwei Zentimetern Länge. Die-
ses Projektil ist ein Hinweis darauf, dass
auch die Bauern der Jungsteinzeit noch
auf die Jagd gingen.
Julia Daub, seit 2008 Mitglied im
Archäologischen Netzwerk Kitzinger Land,
studiert Vor- und Frühgeschichte an der
Universität Würzburg.
Fotos: Städtisches Museum Kitzingen
Verschiedene Mikrolithen aus
dem Neuzugang.
Jungsteinzeitliche Pfeilspitze
Braunbär, Luchs und Fuchs, um nur einige
zu nennen. Die Menschen passten sich
den veränderten Lebensbedingungen an.
Auf diese Weise entstanden die nacheis-
zeitlichen Jäger- und Sammlerkulturen
der sogenannten Mittelsteinzeit.
Mit diesen warmzeitlichen Jägern haben
wir es auch am Herrmannsee bei Groß-
langheim zu tun, wo die Menschen über
Jahrhunderte hinweg ihre Jagdlager auf-
schlugen. Tausende von winzigen Feu-
ersteinabschlägen und -geräten - soge-
nannte Mikrolithen - sind Zeugen für die
die frühe Besiedlung dieses Platzes. Wie
die im Städtischen Museum Kitzingen
aufbewahrten Funde zeigen, reicht das
Spektrum der Feuersteinartefakte von
Bohrern über Widerhaken von Harpunen
bis zu kleinsten Pfeilspitzen.
Auf den ersten Blick scheint es, die Kul-
tur der Mittelsteinzeit sei in späteren
Epochen spurlos aufgegangen. Doch tat-
sächlich verdanken wir den mittelstein-
zeitlichen Jägern zwei wichtige Errun-
genschaften: die Erfindung von Pfeil und
Bogen sowie die langwierige Domestizie-
rung des Wolfes zum Haushund.
Dem Menschen stand nun eine breite
Palette an Jagdtechniken zur Verfügung.
Er fischte mit Harpunen, Reusen, Netzen
und Angeln. Neben der Jagd mit Lanze,
Harpune, Pfeil und Bogen stellte er mit
vielerlei Fallen dem Nieder- und Wasser-
wild sowie Vögeln nach. Doch erlaubten
die Tiere und Pflanzen den Wildbeuter-
gruppen lediglich ein Leben am Rande
des Existenzminimums.
Zur gleichen Zeit - im 9. bis 7. Jahrtau-
send v. Chr, - wurden im „Fruchtbaren
Halbmond“ des Vorderen Orients erst-
mals wilde Getreidearten domestiziert
und Rinder, Ziegen und Schafe als Haus-
tiere gehalten, Steinhäuser und erste
Tempelanlagen errichtet, das Felsgestein-
beil und die Töpferei erfunden. Aber es
dauerte noch Jahrtausende, bis Wander-
bauern aus dem Donauraum diese neuen
Technologien der Jungsteinzeit nach Un-
terfranken einführten und die heimischen
Jäger- und Sammler sie aufnahmen.
Ganz selbstverständlich zählt die Archäo-
logie zu den Schwerpunkten unseres
modernen und doch traditionsreichen
Museums Kitzingen, das sich hiermit sei-
nem Landkreis, aber auch dem Rest der
Welt zu immer neuem interkulturellem
Austausch öffnet.
Stephanie Nomayo MA,
Leiterin des Städtischen Museums Kitzingen
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