DER FALTER 09/13
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Das Kitzinger Land ist ein landschaftli-
cher Gunstraum. Ein freundliches Klima
und üppige Böden, die von wasserreichen
Bachtälern durchzogen werden, sorgen
für Fruchtbarkeit. Der Main dient auf-
grund mäßigen Strömung und geringer
Tiefe seit alten Zeiten als Verkehrsader.
Im Gegensatz zu anderen Strömen, die
zur umkämpften Völkerscheide wurden,
stellte er eine Verbindung zwischen den
umliegenden Gebieten dar. So wundert
es nicht, dass der Landkreis Kitzingen
nicht nur zu den fruchtbarsten, sondern
auch zu den archäologisch fundreichsten
Landstrichen Bayerns werden konnte.
Bereits vor mehr als 7.000 Jahren, mit
Beginn der Sesshaftwerdung des Men-
schen, haben hier die ersten Bauern
Getreide angebaut und Haustiere gewei-
det. Seitdem wurde Unterfranken von
verschiedensten Völkern und Kulturen
besiedelt, die ihre Spuren als archäolo-
gische Bodendenkmäler hinterließen.
Zu den prominenten Fundplätzen in
der archäologischen Forschung zählen
die jungsteinzeitlichen Siedlungen von
Buchbrunn und Schwanfeld, die Kreis-
grabenanlage von Ippesheim, das kel-
tische Oppidum auf dem Schwanberg
und das fränkische Reihengräberfeld
von Kleinlangheim. Weit über die Gren-
zen Mainfrankens hinaus sind auch das
bronzezeitliche Kesselwagengrab von
Acholshausen und die zeitgleiche Hö-
hensiedlung auf dem Bullenheimer Berg
mit zahlreichen Schatzfunden bekannt.
Doch unser Kitzinger Land wurde nicht
erst von Ackerbau und Viehzucht trei-
benden Menschen geschätzt. So be-
wahrt das Stadtmuseum Kitzingen
zwei faustgroße Geröllwerkzeuge mit
menschlichen Schlagspuren auf, die von
Experten in die Zeit des Frühmenschen
(homo erectus) um 600.000 und um
400.000 vor heute datiert werden. Diese
stammen aus der frühen Altsteinzeit, als
die Vorfahren des modernen Menschen
sich erstmals in Europa niederließen.
Auch in Kitzingen selbst war der Mensch
schon lange vor seiner Sesshaftwerdung
unterwegs. Hier fühlte sich der Nean-
dertaler in der mittleren Altsteinzeit vor
130.000 Jahren schon heimisch. Ge-
schickt gefertigte Steinwerkzeuge – der
Archäologe spricht von Spitzen, Scha-
bern und Messern - aus der Lößgrube
Korbacher in der heutigen Repperndor-
fer Straße bezeugen dies. Sie gehörten
zu einer Freilandstation, also einem
Sommer- oder Winterlager, welches die
steinzeitlichen Jägergruppen der letzten
Zwischeneiszeit wiederholt aufsuchten.
In der mittleren Altsteinzeit - also zwi-
schen 300.000 und 30.000 Jahren vor
heute - lebten Menschen in unserer Re-
gion, die zur Menschenform der Nean-
dertaler (homo sapiens neandertalensis)
gehörten. Ihre Kunstfertigkeit bezeugt
ein Faustkeil, der mit hohem ästheti-
schem Formempfinden aus einer Feuer-
steinknolle herausgearbeitet wurde.
Die Menschen, die solche Werkzeuge
herstellten und führten, waren Noma-
den. Im Gegensatz zur herkömmlichen
Meinung lebten die Neandertaler nur
selten in Höhlen, zumeist bewohnten sie
Lagerplätze in selbst gebauten Behau-
sungen. Von da aus durchstreiften sie die
Umgebung auf der Suche nach Nahrung.
Ihre Lebensgrundlage war das Sammeln
von Wildfrüchten und Wurzeln sowie die
Jagd. Großwild wie Wollnashorn und
Mammut wurde in Fallgruben getrieben,
um es mit Lanzen und Wurfspeeren zu
erlegen. Das Wild wurde mit steinernen
Werkzeugen geschickt zerwirkt und an
die Sippe verteilt. Dass Mammutfleisch
auf der Speisekarte des „Kitzinger“ Ne-
andertalers stand, belegen Mammutkno-
chen und ein gut erhaltener Mammut-
backenzahn im Städtischen Museum.
Brandreste im Bereich altsteinzeitlicher
Fundstellen bezeugen übrigens, dass der
Neandertaler das Feuer bereits zu nutzen
wusste. Auf welche Weise er es erzeugte,
ist allerdings bis heute ein Rätsel.
Da die Archäologen sich letztlich für den
Menschen hinter den archäologischen
Funden interessieren, möchten sie über
die Lebensgewohnheiten hinaus auch
etwas über das Bewusstsein der Altvor-
deren erfahren und natürlich auch ver-
mitteln. Das erstaunliche ist, dass der
Neandertaler bereits Vorstellungen ent-
wickelt hatte, die über dieWahrnehmung
seiner dinglichen Umwelt hinausgingen.
Denn er überließ seine verstorbenen
Angehörigen nicht den wilden Tieren,
sondern bestattete sie nach bestimmten
Ritualen. Hierbei bettete er die Toten im
Grab in Schlafstellung mit angezogenen
Beinen und Armen. Vielleicht hielt er den
Tod für eine Art Schlaf, wie viele Men-
schengruppen nach ihm.
Vor etwa 35.000 Jahren bekamen die
Neandertaler Konkurrenz durch eine
andere Menschenform. Auf dem Höhe-
punkt der letzten Eiszeit wanderte der
Cro-Magnon-Mensch aus Afrika nach
Europa ein. Wenige Tausend Jahre später
Der lange Weg der Sesshaftwerdung
von Stephanie Nomayo
Illustrationen: Dieter Behrendt, Hans Friedrich,
Hannelore Iffert, Geschichte 5, Dresden, 1971
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